Wenn Kinder mit Tabletts herumhantieren, haben sie nichts davon

Bei einem Interview am 9.11.22 mit der Rheinischen Post beschrieb der Psychologe und Zukunftsforscher Gerd Gigerenzer die wenig vorhandene Angst der Menschen vor der künstlichen Intelligenz und die Macht der Algorithmen.

Nach Prof. Gigerenzer ist es erstaunlich, dass die allerwenigsten Algorithmen ernst- oder gar wahrnehmen, obwohl wir in einer Welt leben, die von Algorithmen beherrscht wird. Zur Veranschaulichung berichtet er von Studie über 400 Vorstände von DAX- und MDAX-Unternehmen, die hinterfragte, inwieweit diese Vorstände durch Aus- oder Weiterbildung digital affin sind. Bei 92 % der Befragten konnte eine solche Affinität nicht nachgewiesen werden. Und eine britische Studie mit Journalisten habe ergeben, dass 60% der von denen geschriebenen Artikel, sich ähnlich lesen wie die PR-Texte der Unternehmen.

Laut Gigerenzer im Mittelfeld. Auch auf die Frage, wo rangiert das deutsche Bildungssystem im EU-Vergleich in Sachen Digitalisierung, kritisiert er, dass man leider fast nur auf die Infrastruktur schaue. Von untergeordnetem Interesse sei, dass die jungen Menschen wirklich lernen, wie man Fakten von Fake News unterscheidet und welche Wirkung Algorithmen auf die Psyche junger Menschen haben. Die allermeisten Jugendlichen in den OECD verstünden nicht, wie die Algorithmen von Facebook oder Google funktionierten.

Die Einschätzung, ob eine Website vertrauenswürdig ist oder wie man vernünftig recherchiert, würde Schüler*innen schlicht nicht beigebracht. Tabletts in Grundschulen seien keine Lösung. Ein Nutzen digitaler Medien sei nur zu erwarten, wenn der Lehrer diese für den Unterricht nutzt. Wenn aber die Kinder bloß mit Tabletts herumhantieren, hätten sie laut Studien nachweislich nichts davon.
Girgenzer spricht sich dagegen aus, dass Kinder eigene Geräte in die Schule mitbringen, schon gar nicht wenn sie deren Funktionen nicht beherrschen. Er begründet dies damit, dass Ingenieure und Wissenschaftler absichtlich Algorithmen entwickeln, die die Kinder und Jugendlichen auf den Plattformen halten. Wenn der Reiz der Medien fehle, verspürten Kinder und Jugendliche den Drang, schnell wieder online sein zu müssen.

Der größte Wunsch von Prof. Gigerenzer ist digitale Risikokompetenz, d.h. u.a. zu wissen, wie man die Vertrauenswürdigkeit von Webseiten beurteilen kann. In anderen Ländern, z.B. Finnland, gäbe es ein ganzes Programm (Faktabaari) zur digitalen Risikokompetenz, der Veranschaulichung der Gefahren von Algorithmen. Auf allen Ebenen besteht in Deutschland großer Nachholbedarf zur Vermittlung von Risikokompetenz. Jeder müsse wissen, man ist nicht Kunde wenn man nicht bezahlt! Jeder Nutzer sei Ware, er zahle mit seiner Aufmerksamkeit, Abhängigkeit und seinen Daten. Die Kunden sind die werbenden Firmen.